Nächtlicher Besuch – Gastbeitrag

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© Thomas Blasche Fotodesign – http://www.natur-photocamp.de

Nächtlicher Besuch

von Uwe Honnef

Normalerweise ist ein Besuch bei Nacht nichts Besonderes. Liegt man aber vor Anker, in einer einsamen Bucht, ist man schon verwundert, wenn es plötzlich klopft. Wie es dazu kam, wollt Ihr wissen? Wir waren auf See und wollten nach durchgesegelten drei Tagen und drei Nächten in den nächsten Hafen im niederländischen Wattenmeer einlaufen. Leider war der Hafen dicht. Im Hochsommer kommt das schon einmal vor. Proviant war genug an Bord, so dass es für uns auch nicht schlimm war, einen Ankerplatz zu suchen. Am nächsten Tag würde schon wieder etwas frei sein. Wir segelten also mit dem Strom ca. eine Seemeile (1852 Meter) weiter, ließen den Anker fallen und packten die Segel ein. Noch ein kräftiger Ruck mit dem Motor und wir lagen fest und sicher! Der Bug zeigte Richtung Wattenmeer. In einem Umkreis von über zweihundert Meter war kein anderes ankerndes Boot zu sehen. Eine kleinere Yacht lag noch weiter vom Hafen entfernt, also tiefer im Watt. Erst einmal wurde ein Bierchen getrunken und dann gekocht. Bei einem herrlichen Sonnenuntergang haben wir gegessen. Die Abendsonne schien in den schönsten Farben in unsere Plicht und auf den Esstisch, wir wollten trotz bleierner Müdigkeit noch nicht ins Bett.

Nach einem, oder zwei ich weiss nicht mehr so genau, könnten auch… , ach lassen wir das, stellten wir fest, dass die Ebbe ihren niedrigsten Stand erreicht hatte. Jetzt kam die Flut und es drehte sich unser Boot mit der Strömung und der Bug zeigte in die entgegengesetzte Richtung. Der Anker was fest und sicher. Da ich bei allem was schiefgehen kann, immer an` Murphy´s Law´ (was schief gehen kann, geht auch schief), denken muss, habe ich noch den Ankeralarm eingeschaltet. Würden wir abtreiben, hätte ich ein verdammt lautes Piepsen im Ohr! Ich merkte mir noch die Beleuchtung vom Hafen und von einem Leuchtturm und ging mit meiner Frau schlafen. Nach wenigen Minuten sägten wir wie kanadische Baumfäller! Mitten in der tiefsten Nacht, ca. um Zwei Uhr Dreißig rüttelte meine Frau mich wach. „Hör mal, da ist einer!“ zischte sie mich an. Ich wusste in dem Moment noch nicht einmal, wer oder wo ich bin! Aber wenn Sie zischt bin ich wach! Über unserem Bett gab es eine Luke. Diese hob ich an und schaute, im Bett sitzend, heraus. Kennen Sie das Bild `Der arme Poet´ von Carl Spitzweg? Der Poet stand vor mir! So richtig im Nachthemd mit dieser langen Nachtmütze und einer Laterne in der Hand! Ich schaute zum Sternenhimmel hinauf und frage leise für mich, „Echt, nee, das meinst Du nicht ernst, oder“? Anstatt einer Antwort von ganz oben, fing das Männchen an zu sprechen. Wobei, sprechen ist das falsche Wort, besser ist, lautstark an zu Keifen! „Sie blöder Trottel, können Sie nicht vernünftig den Anker setzen? Ihr Kahn ist voll auf mich draufgeknallt, dass werden Sie bezahlen, ich werde Sie anzeigen….“ Und so weiter und so fort. Als er einmal Luft holen musste, fragte ich Ihn, „ guter Mann, soll ich nicht erst einmal herauskommen und Ihnen helfen“? Das sah er ein und ich sprang aus dem Bett und ging zu Ihm. Da ich nun auf dem Vordeck stand, stellte ich fest, wir lagen da, wo wir hin gehörten. Der keifende Poet hing mit seinem kleineren Boot an unserem Bugkorb und hielt sich verzweifelt fest. Dabei merkte er gar nicht, dass sein Boot sich von unserem trennen wollte. Ich kann Euch sagen, in dieser Nacht habe ich Kraftausdrücke gelernt, die eines eigenen Buches würdig sind. Aber kein Jugendfreies!

Als ihm dann die Worte ausgingen, machte ich Ihm folgenden Vorschlag: „Was halten Sie davon, wenn wir jetzt erst einmal das Problem beseitigen und dann morgen Vormittag, in aller Ruhe, die Wasserschutzpolizei kommen lassen. Sie gehen jetzt nach hinten an Ihre Pinne (Steuer), ich halte Ihr Boot hier fest, wenn Sie soweit sind, stoße ich mich von Ihnen ab und fahre mit dem Motor zu einem anderen Ankerplatz“! Der Poet nickte grimmig „ passen Sie aber auf, dass ich nicht noch mehr Schrammen bekomme!“ ging nach hinten und griff seine Pinne. Ein bisschen tat er mir ja leid, aber meine Gesichtsmuskeln schmerzten schon vom unterdrückten Lachen. Aber wie er da stand, das Nachthemd bis kurz unter dem Knie, die dünnen haarigen Porreepiepen (seemännischer Fachbegriff für dünne, haarige Männerbeine), mit dieser herrlichen Nachtmütze gab er ein Bild ab, dass wir wohl nie wieder vergessen werden! Der arme Kerl dachte bis zuletzt, ich würde weg fahren! Ich fragte „Fertig?“ „Stoßen Sie bloß kräftig ab!“ krächzte er zurück, was ich mir nicht zweimal sagen ließ. Ich stieß ihn ab und stand mit meiner Frau auf dem Vordeck und wir schauten uns an, was passierte. Als er merkte, dass wir nicht zum Steuer rannten, sondern seelenruhig stehen blieben, wollte er schon wieder loskeifen. Dann merkte er endlich was los war. Die Strömung zog ihn mit. Er trieb ab und verschwand fluchend in der dunklen Nacht! Was war passiert? Der arme Poet hatte seinen Anker an einer zu kurzen Kette ins Wasser geschmissen und mit der kommenden Flut wurde es immer tiefer. Der Anker hing einfach lose herunter, ohne den Grund noch zu berühren! Wir haben Ihn nie wieder gesehen. Aber wenn wir an einer Spitzweg-Apotheke vorbeikommen, können wir uns selten ein Schmunzeln verkneifen!

Text: © Uwe Honnef

Bildquelle: Thomas Blasche Fotodesign

HafentageDer Beitrag ist eine Leseprobe aus dem Buch Hafentage: Heitere Erinnerungen eines Fahrtenseglers von Uwe Honnef.