Das Hafenkino ist immer wieder erfrischend – Gastbeitrag

LaPirogue-ETAP23-letzter-toern-06Das Hafenkino ist immer wieder erfrischend

von Michael Köhler

– aber das Manöver, das wir gestern miterleben durften, war so ziemlich das Highlight der letzten 29 Segel-Jahre.

Briten, 2 Paare, unter Segel fahren sie das Ankermanöver, wir dachten uns – „Hut ab, die können was!“ Der Anker fällt, das Boot nimmt Fahrt nach achtern auf, ein Beiboot wird zu Wasser gelassen, eine vollschlanke Dame wuchtet sich in selbiges, es folgt der Heckanker, der ebenso behände wie geräuschvoll vom Segelboot zum Beiboot hinunter wechselt. Der 20 kg schwere und spitze „Parkhaken“ findet neben ihr gerade noch Platz im kleinen Beiboot. Sie paddelt mit dem Heckanker vom Mutterschiff weg, der Kettenvorlauf spannt sich, sie rudert stärker, in ca. 2m Entfernung vom Mutterschiff entschließt sich der Skipper zum englischen Pendent von „fallen Anker“! Der Heckanker rutscht vom Bug des Beibootes, kaum eine Armlänge vom Heck des Mutterschiffes entfernt, mehr noch, die Kette ist sogar noch fest am Heckkorb, der Anker hängt somit senkrecht nach unten im Wasser. Der Skipper macht ihn lose und die Kette rasselt lautstark über Heck und Badeplattform ins Wasser. Der Kette folgen gut 10m Leine, kein Knoten, kein Klampenschlag. Nichts. Und die vollschlanke Dame paddelt dem Mutterfschiff hinterher. Warum? Der aufmerksame Leser erinnert sich – „Anlegemanöver unter Segel“. An der angepeilten Parkposition stand der Wind von querab auf das Boot. Weil das Boot immer wieder lossegeln wollte, wurde der Rückwärtsgang eingelegt. Immer wieder. So lange, bis sich das Boot um 90° gedreht hatte, kein Wind mehr in den Segeln stand und es nicht mehr weiter abdriften konnte, weil es an ein anderes vor Anker liegendes Boot angedockt hatte. Das bekümmerte den Skipper aber überhaupt nicht, wußte er nun ja, dass er nach Steuerbord Halt gefunden hatte. Aber eigentlich sollte das Boot ja – wurde uns nun klar – mit einer Landleine zum Ufer vertäut werden, der Heckanker sollte nur das Heck in der Zwischenzeit stabilisieren. Dafür hätte man die Heck-Ankerleine aber am Boot belegen müssen – na ja, kleine Fehler können schon mal passieren. Aber der Hauptanker hielt ja zumindest. Zwar nicht eingefahren und getestet, aber bei 7 Meter Tiefe war nur 1 Meter des 10 Meter langen Kettenvorlaufes zu sehen, der Anker war also jedenfalls am Boden angekommen und konnte seine Funktion voll entfalten, dachte der Skipper offenbar.

Nun, dort, an der neuen Position holte die vollschlanke Dame nun ihr Mutterschiff ein und bekam eine Leine überreicht, die sie an Land festmachen sollte. Seit ein paar Minuten war sie nun dabei, das Rettung verheißende Ufer zu erpaddeln. Die Leine, die der Gatte hinter ihr immer wieder mit weiteren Leinen verlängerte, sank zu Boden, Sie paddelte immer stärker, das Ruder flog immer wieder aus der Gummi-Dolle, die wohl für solche Belastungen nicht gebaut war. In der Zwischenzeit trieb das Beiboot durch den Wind immer wieder auf das Mutterschiff zu. Die Crews der benachbarten Boote hatten in der Zwischenzeit vollzählig ihre Plätze zur Vorstellung eingenommen, vereinzelt waren Rufe „bring mir noch ein Bier mit, das wird länger dauern“ oder „schnell, schnell, die Kamera, das glaubt sonst keiner“ zu vernehmen. Die Dame paddelt noch immer, in der Zwischenzeit – weil das Boot ja wie schon erwähnt von der ursprünglich angepeilten Parkposition mindestens 20 – 30 Meter abgetrieben ist – wird gerade die 7. Leine angeknotet. Sie erreicht mit letzter Kraft das rettende Ufer, den Kopf farblich abgestimmt auf die Schwimmweste, dem Hitzeschlag nahe. Sie findet einen kleinen Stein, um den sie die Leine wickelt und dann vom Boot aus mit einem Knoten fixiert. Hurra! Die Heckleine ist fest. Jetzt müssen nur noch die starken Männer das Boot wieder an die ursprüngliche Position ziehen. Immer wieder mal wurde in den vergangenen Minuten der Rückwärtsgang eingelegt, um das noch immer unter Segel stehende Boot am Losfahren zu hindern und die Heckankerleine hing unter dem Propeller. Die Zuseher hielten bei jedem neuerlichen Gasstoß den Atem an – „jetzt, jetzt bekommt er die Ankerleine in den Propeller“! Es wurden bereits Wetten abschlossen, in welche Richtung der Propeller die Leine aufwickeln würde – hin zum Leinenende, oder hin zum Kettenvorlauf, wo sich dann der Anker um das Boot wickeln würde. Nichts dergleichen geschah. Mit dem Glück des Tüchtigen und der Kraft eines Bären zogen sich die Männer mit der Winch zurück auf den vorgesehenen Platz – die Leine führte von außen kommend über die Reling darüber auf die Winch. Mühevoll, denn das Boot war immer noch unter Segel. Erst wird der Heckanker und dann die vollschlanke Dame an Bord gehievt, dann werden die Segel eingeholt und das Bier geöffnet.
So muss ein Ankermanöver aussehen, ein lehrreicher Nachmittag für alle Anwesenden!

Text: © Michael Köhler – Solarwave